Gesund und lecker kochen für Kinder
Dieses wunderbare Interview, erschienen in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 21.07.2024, Rhein-Main (Text Reiner Schulze) lohnte es einfach zu lesen. Frau Volkmer, die seit vielen Jahren im Auftrag der Kita bei NOVUM – Der Bio-Lieferservice bestellt, gibt einen inspirierenden Einblick in ihre langjährigen Erfahrungswerte:
„Pommes gibt es bei mir nicht“
Annette Volkmer kocht seit 22 Jahren in der Kita der Johannesgemeinde in Hofheim. Im Interview spricht sie darüber, wie man gesundes Essen für Kinder schmackhaft machen kann und warum sie nichts von Ernährungstrends hält. Manchmal fragen sogar Eltern nach ihren Rezepten.
Frau Volkmer, für wie viele Kinder kochen Sie jeden Tag?
Im Moment sind wir bei 115 Essen.
Bereiten Sie alles frisch zu?
Zu 90 Prozent. Heute waren es 16 Kilo frische Biokartoffeln, 18 Kilo Kabeljaufilet, zehn Köpfe Salat, ein Dressing dazu. Und als Nachtisch gab es Frischobst: Bananen, Honigmelonen und Weintrauben.
Was haben Sie daraus gezaubert?
Salzkartoffeln, frisch gebratenen Fisch mit Zitroneneckchen und angemachten Salat. Von dem Fisch sind vielleicht zwei Stückchen übrig geblieben.
Wie schafft man es, nur so wenig wegzuwerfen?
Erfahrung und gute Planung. Wenn etwas übrig bleibt, will ich das auf jeden Fall weiterverwerten. Also nicht die Sachen, die vom Tisch zurückkommen, die müssen ja weggeschmissen werden. Aber die Sachen, die die Küche noch nicht verlassen haben. Wenn es zwei Hände voll von diesen wunderbaren Kartoffeln sind, dann kommen die morgen in den Eintopf. Oder ich mache ein Kartoffelbrot, damit wir nachmittags etwas zum Snack haben.
Wie bringen Sie die Kinder dazu, Neues zu probieren?
Man muss ihnen Zeit lassen und sie motivieren, eine Speise immer wieder zu kosten. Wir servieren alles in Glasschüsseln. Die Kinder können sich das Essen erst mal angucken. Wenn sie möchten, können sie sich dann selbst nehmen. Ich gehe auch jeden Tag in alle Gruppen und wünsche guten Appetit. Die Kinder können auch zu mir in die Küche kommen und Wünsche äußern.
Es ist wichtig, dass das Essen ein Gesicht hat?
Die Kinder verbinden das Essen mit mir. Letzte Woche kam von einem Kind die Idee: Annette, können wir mal Bananenbrote machen? Da habe ich gesagt: Das ist eine super Idee. Das nächste Mal, wenn es Brote gibt und ich vergesse das, dann musst du zu mir kommen und mich dran erinnern. Sie kam wirklich.
Erfüllen Sie alle Wünsche der Kinder?
Pommes gibt es bei mir nicht. Aus unseren wunderbar mehlig kochenden Kartoffeln mache ich lieber Ofenkartoffeln. Dann kann ich hier für 100 Kinder an die 30 Kilo mit der Schälmaschine schälen, in Scheiben schneiden, mit Knoblauch und Gewürzen würzen, aufs Blech schieben. Und dann sind das die besten Kartoffeln. Ich habe in der ganzen Zeit noch nicht eine Tüte Pommes aufgemacht.
Viele Eltern erstaunt es, dass ihr Kind im Kindergarten besser isst als zu Hause.
Manchmal kommen auch Eltern und fragen: "Sagen Sie mal, wie machen Sie den Gurkensalat? Wir haben zu Hause schon alles probiert." Dann gehen wir das im Schnelldurchlauf durch, und sie machen sich Notizen. Neulich berichtete ein Papa: Die Kinder hätten gesagt, es sei "fast so gut" gewesen wie im Kindergarten.
Sie geben Rezepte weiter?
Die Eltern können mich jederzeit fragen: Was hast du da für Tricks? Zum Beispiel bei banalen Dingen wie Salatsoßen. Das Beste an der Salatsoße ist Wasser und ein Pürierstab. Wenn Sie die Kinder fragen, würden die sagen: Da sind keine Zwiebeln drin. Sind aber. Zwiebeln, Knoblauch, ist alles drin. Man sieht es nur nicht. Das ist die Taktik. So bringt man ihnen das geschmacklich näher. Die lieben das. Die essen Salat wie verrückt. Wenn die Kinder zu Hause auf ein Stück Zwiebel beißen, kann ich damit alles kaputt machen.
Haben Sie ein festes Repertoire, das Sie alle paar Wochen wiederholen?
Ich möchte auch mal etwas Neues ausprobieren, damit die Kinder lernen, wie vielfältig das Essen ist. Meine Chefin sagt immer: Es wäre doch viel einfacher für dich, wenn du einen alle vier Wochen rotierenden Speiseplan hättest. Aber ich kann das nicht. Erstens wäre es nicht regional und saisonal, wenn es immer wiederkommen würde. Zweitens finde ich das einfach zu langweilig. Ich möchte es so abwechslungsreich wie möglich halten. Ich orientiere mich an dem, was gerade wächst. Bei mir würde es nie im Frühjahr eine Kürbissuppe geben.
Was essen die Kinder besonders gerne?
Ofenkartoffeln und Quark. Wir werden von einem Biolieferanten mit Obst und Gemüse beliefert. Da gibt es Kartoffeln, Kräuter und alles Mögliche, zum Beispiel rote Rettichsprossen. Dann ist der Quark pinkfarben. Das ist natürlich der Superrenner.
Ohne Pürierstab könnten Sie nicht kochen?
Ich müsste wahrscheinlich zu viele Rückschläge hinnehmen. Die Kinder sortieren mit den Augen. Aber sie sollten auch lernen, etwas Gemischtes zu sich zu nehmen. Sie müssen nicht immer alles getrennt auf dem Teller haben.
Was mögen sie noch?
Gemüsesuppen. Ich nehme ganz normales, frisches Suppengrün. Das wird ein bisschen angeschwitzt und abgelöscht, und dann gibt es dazu Fadennudeln oder Knöpfle. Es ist eine klare Suppe mit Gemüse, da kommt kein Pürierstab zum Einsatz. Die Kinder lieben das einfach, und die Eltern wissen nicht, warum. Aber die Schüsseln sind immer alle leer.
Ist Appetit in der Kita ansteckend?
Natürlich spielt die Psychologie eine Rolle. Wenn ich zum Beispiel sage: Ich glaube nicht, dass ihr es schafft, die Schüssel mit dem Salat zu leeren. Dann kommen sie stolz mit der leeren Schüssel zu mir: Guck mal, Annette, unser Tisch hat das geschafft.
Was ist mit Klassikern wie Reibekuchen?
Neulich habe ich die gemacht, aus 24 Kilo Kartoffeln. Also selber gemacht, nicht TK. Die werden in der Pfanne gebraten und kommen dann noch in den Konvektomaten zum Garziehen. Statt Apfelmus nehme ich Apfelmark. Dann kann ich mir den ganzen Zucker sparen, der in den Konserven drin ist. Da spiegelt sich dann wirklich der Geschmack der Äpfel.
Haben sich die Vorlieben der Kinder im Laufe der Zeit verändert? Ist die deutsche Küche offener geworden für andere kulinarische Einflüsse?
Die Vielfalt ist heute größer. Vor 20 Jahren war Brokkoli noch nicht so der Renner, weil es ihn nicht überall zu kaufen gab. Bei vielen Kindern kommt es aber heute nicht mehr zur richtigen Geschmacksbildung. Die kennen den Erdbeergeschmack nur von Fruchtzwergen. Heute zählt beim Essen oft, dass es schnell gehen muss. Gerade bei jungen Eltern, wo beide Elternteile arbeiten. Dann holt man aus dem Supermarkt meistens, was Kinder gerne essen, ohne zu meckern. Man möchte auch keinen Stress am Tisch haben.
Da gibt es dann eben Fischstäbchen mit Kartoffelbrei.
Fischstäbchen gibt es bei mir überhaupt nicht. Dann mach ich lieber einmal im Monat frischen Fisch. Das ist ein Kostenfaktor von 1000 bis 1200 Euro. Aber ich weiß, wo der Fisch herkommt. Der wird frisch geholt und auf Eis richtig gelagert. Und die Kinder sagen zu mir: Kann ich noch ein bisschen von dem weißen Fleisch haben? Das ist dann die Assoziation. Aber Fischstäbchen, wo der Fischgeschmack reingeschossen worden ist? Nee.
Ist Ihre Aufgabe wichtiger geworden?
Der Kindergarten hat heutzutage eine ganz andere Stellung als vor 20 Jahren. Damals war der Kindergarten nur vormittags oder bis nach dem Mittagessen geöffnet. Heute haben wir im Prinzip eine Vollverpflegung. Die Kinder sind mir vom Frühstück bis nachmittags ausgeliefert. Sie werden gesund ernährt und brauchen vielleicht abends noch ein Käse- oder Wurstbrot. Wir orientieren uns an den Qualitätsstandards, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung für die Kita-Verpflegung aufgestellt hat. Um so einen Job zu machen, braucht man heute eine sehr gute, fundierte Ausbildung. Im Prinzip ist der Ausdruck Hauswirtschaftskraft für uns auch nicht die richtige Bezeichnung.
Sondern?
Wir haben da schon mal experimentiert und sind bei Fachfrau für Ernährung und Küchentechnik gelandet. Das beschreibt unser Aufgabengebiet wesentlich besser.
Sie haben einen Arbeitskreis gegründet, um Wissen zu vermitteln.
Viele Kolleginnen in meinem Arbeitskreis wollen sich fortbilden, um eine gesunde Ernährung gewährleisten zu können. Ich organisiere das. Dreimal im Jahr kommen Referenten zu uns.
Welche Rolle spielen religiöse Speisevorschriften für Ihre Arbeit?
Wir verwenden zu 95 Prozent kein Schweinefleisch. Aber wenn ich zum Beispiel Frikadellen mache, dann nehme ich Hackfleisch halb und halb - und für die anderen gibt es dann halt nur Rind. Wir haben beim Frühstück nur Geflügelwurstsorten. Wenn Eltern aber wollen, dass die Kost "halal" ist, muss das Essen mitgebracht werden, denn das können wir nicht leisten. Aber dadurch, dass ich nur einmal in der Woche Fleisch koche, ist es sonst ja sowieso in der Regel vegetarisch.
Werden Sie durch religiöse Speisevorschriften oder andere kulturelle Gewohnheiten eingeschränkt?
Nein. Ich bin eher bemüht, einem Kind, das neu nach Deutschland gekommen ist, mit sogenannten Ankerlebensmitteln ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Wir stellen dann auch immer Brot und Milch zum Mittagessen mit auf den Tisch.
Können Sie die Kinder auch beim gemeinsamen Kochen oder Backen einbeziehen?
Das ist ein zwiespältiges Thema. Wir müssen sehr auf Hygiene achten. Außerdem habe ich selbst auch keine Zeit dazu. Die Erzieher kümmern sich um die Ernährungsbildung und gehen schon mal mit den Kindern auf den Markt. Die sind dann megastolz, wenn sie mir drei Bund Schnittlauch mitbringen. Wir bepflanzen auch ein Hochbeet. Die Kinder freuen sich dann, wenn die selbst geerntete Bohne in den Gemüseeintopf wandert.
Sie machen das jetzt seit 22 Jahren. Woran erinnern Sie sich gerne zurück?
Es gibt viele schöne Erlebnisse, aber eines ist mir doch richtig nahegegangen. Vor Jahren hatten wir ein Kind, das viele Sachen nicht vertragen hat, wegen einer verzögerten Entwicklung des Magen-Darm-Traktes. Ich habe für das Kind alles selbst gemacht und versucht, meinen Beitrag zu leisten, damit sich alles zum Guten entwickelt. Wir waren auch immer im Austausch mit den Eltern, wie sich die medizinischen Werte entwickeln. Und eines Morgens stand dieser Vater vor mir, strahlend, aber mit Tränen in den Augen: Wir haben es geschafft! Dann konnte das Kind ganz normal essen. Das war echt schön, ein Highlight.
Viele Menschen klagen heute über Unverträglichkeiten. Ist das eine Zivilisationserscheinung?
Manche Überzeugungen basieren auf einem gesunden Halbwissen, und über so was kann ich mich aufregen. Nur weil es Trend ist, muss ich viele Sachen nicht mitmachen. Als Beispiel: dieses Ganze mit Gluten und Laktose. Statistisch machen laktoseintolerante Leute nur ein Prozent der Bevölkerung aus. Laktosefrei ist Trend. Dass man durch einen solchen Trend eine Laktoseunverträglichkeit forcieren kann, sehen ja die wenigsten. Genauso ist das mit dem Gluten auch. Ich weiß, was es heißt, wenn ein Kind Zöliakie hat. Dem könnte ich die Ernährung in der Kita nicht gewährleisten. Heute ist es aber en vogue, Gluten wegzulassen.
Ihre Lebensmittel stammen größtenteils aus biologischer Erzeugung. Warum?
Es ist immer einfacher, bequemer und billiger, sich das Essen liefern zu lassen. Wir haben früher geschälte Kartoffeln bekommen, die konnte ich dann nicht mehr sehen. Ich konnte sie auch nicht mehr essen. Dann hatten wir vakuumierte, die waren auch geschwefelt. Ich möchte, dass die Kinder wissen, wie eine Kartoffel aussieht und schmeckt. Nicht nach Pommes von den Billigdingern in den Niederlanden, gezüchtet, ohne Stärke, ohne alles, sondern wirklich heimische Sachen. Als wir auf Bio umgestellt haben, haben wir eine Kartoffelschälmaschine angeschafft. Und seitdem essen die Kinder Kartoffeln wie verrückt. Es ist ein wahnsinniger Unterschied. Und das ist für mich förderungswürdig.
Gab es auch Schreckmomente?
Einmal ist mir das Herz echt in die Hose gerutscht. Eine Mutter sagte: Mein Kind hatte so blauen Stuhlgang. Am nächsten Tag kam sie wieder: Wissen Sie was? Mein Mann ist ein Schlumpf-Eis mit dem Kind essen gegangen, und ich habe das nicht gewusst. Der Farbstoff war schuld, nicht ich.
Die Fragen stellte Rainer Schulze.
Zur Person
Annette Volkmer stammt aus Gummersbach und ist staatlich anerkannte Diätassistentin. Bevor sie 2002 die Küche in der Kita der Evangelischen Johannesgemeinde in Hofheim übernahm, arbeitete sie in einem Krankenhaus in Köln, im Paulinenstift in Wiesbaden, als Familienhelferin der Diakonie und als Ernährungsberaterin bei der AOK. Für die Kitas der Evangelischen Kirche im Main-Taunus-Kreis hat sie einen Arbeitskreis gegründet und organisiert Fort- und Weiterbildungen zu Fragen der Ernährung und Hauswirtschaft.
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